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Sexualkunde

Sexualkunde

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  • Bildung & Erziehung

Sexualkunde - ein umstrittenes Thema ist die Sexualerziehung in der Schule. Bundesweit wird die „Sexualkunde“ ab Klasse 4 im Unterricht behandelt. Dabei sind die Meinungen der Eltern zu diesem Thema unterschiedlich wie Tag und Nacht. Die Ansichten schwanken zwischen „Sexualkunde in Klasse 4? Was soll das? Das will ich für mein Kind nicht!“ bis hin zu „Sexualkunde in der Grundschule? Super! So lernt mein Kind angeleitet und kindgerecht woher die Babys kommen.“. Um einen Überblick zur Debatte zu erhalten, soll die Frage nach dem Alterseinstieg für den Sexualkundeunterricht beleuchtet werden, sowie rechtliche Grundlagen.

Sexualkunde in Klasse 4: Ich will nicht, dass mein Kind am Sexualkundeunterricht teilnimmt!

Gibt man „Sexualkunde“ in der Online-Suchmaschine ein, sind die ersten Treffer vor allem Berichte über einen Sexualkundeunterricht, der alle Grenzen des Guten sprengt: das genaue Erläutern von Sexualpraktiken und dazugehörige, zweifelhafte szenische Umsetzungen. Gerade diese Berichte schrecken viele Eltern ab. Sie haben das Gefühl, dass ihre Kinder nicht altersgerecht gebildet werden. Verständlicherweise haben sich Elterngemeinschaften gebildet, die auch rechtlich gegen den Sexualkundeunterricht vorgehen wollen. Da stellt sich natürlich die Frage: Hat beim Thema Sexualkunde das Bildungssystem versagt? Hat man hier ein Unterrichtsthema verpflichtend eingeführt, dass nicht in die Grundschule gehört?

Die deutschen Bundesländer haben ihre individuellen Lehrpläne, wobei jede Lehrkraft die Unterrichtsinhalte nach eigenem Ermessen durchführen kann. ABER: schwierige Themen wie die Sexualerziehung ab Klasse 4 sollten durch einen Elternabend oder Informationsmaterialien angekündigt werden. Dabei muss die Lehrkraft den Eltern erläutern, wie das Unterrichtsthema in der Praxis umgesetzt wird. Eltern haben dann das Recht gegen bestimmte Materialien ein Veto einzulegen.

Bei allen schrecklichen Beiträgen, die man zur Suchanfrage „Sexualkunde“ findet:
Liebe Eltern, das sind Ausnahmefälle, die jeder gut ausgebildete Pädagoge strikt ablehnt und gegen die gerichtlich vorgegangen wird. Diese über die Strenge geschlagenen Unterrichtskonzepte entsprechen nicht der Schulrealität! Vielmehr ist es eine Fehlleitung der einzelnen Lehrperson - eine Handlung, die keinerlei Vorbildcharakter aufweist! Solche „Lehrpersonen“ gibt es sehr selten. Aber für mediale Berichterstattung wird ein Beitrag erst dann lohnenswert, wenn er die Erzürnung und den Schock der Eltern trifft. Wie die Bildung über den Sexualkundeunterricht tatsächlich abläuft und was dem Schulalltag entspricht, gäbe keine gute Schlagzeile. Lassen Sie sich bitte von solchen Einzeltaten nicht beirren! 

Viele Eltern möchten die Sexualkunde, die wie eine Hürde für die eigene Erziehung scheint, generell abschaffen. Am besten indem man sein Kind von diesem Unterrichtsinhalt ausschließt.

Aber das ist aus rechtlicher Perspektive nicht möglich! Denn in Deutschland herrscht Schulpflicht (Art. 7 GG). Das bedeutet, dass auch alle Themen die in der Schule behandelt werden und vom Bund abgesegnet sind, unter die Schulpflicht fallen. Themenspezifisches Ausschließen des Kindes ist somit rechtswidrig. Dazu kommt, dass jeder deutsche Bürger das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit hat (Art. 2 GG). Als Eltern seinen Kindern ein Unterrichtsthema verbieten zu wollen, würde das Kind in seiner Persönlichkeitsentwicklung einschränken.

Das Ausschließen vom Sexualkundeunterricht aus kulturellen oder religiösen Gründen ist nicht möglich, da es der Rechtsprechung zur Vermeidung von Parallelgesellschaften widerspräche. Die Abneigung gegenüber der Sexualerziehung veranlasste fünf Elternpaare Deutschland wegen seiner Bildungsinhalte zu verklagen. Dies lehnte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ab, da unter anderem der Bildungs- und Erziehungsauftrag Deutschlands keinerlei Einschränkungen unterliegt.

Sicherlich fragen sich nun viele Eltern welche Rechte sie in Bezug auf den Sexualkundeunterricht haben. Artikel 6 des Grundgesetztes sichert den Eltern das uneingeschränkte Recht auf die alleinige Erziehung der Kinder zu. Da jedoch laut Artikel 7 der Staat zur Erziehung und Bildung seiner Bürger verantwortlich ist, gelten folgende Regelungen: Wie bereits erwähnt muss das Thema Sexualkunde von der Lehrperson in einem Elternabend, oder durch einen anderen Informationsweg angekündigt und besprochen werden. Eltern haben das Recht Fotos oder Materialien nicht zum Unterricht zuzulassen, die sie als nicht tragbar empfinden.

Sexualkunde ab Klasse 4: Wie kam das denn?

Betrachtet man die heutigen Umstände des Erwachsenwerdens fällt sofort auf, dass Oma und Opa oder Mama und Papa in einer „anderen“ Welt groß geworden sind. Insbesondere der Bereich der Freizeitgestaltung kann nicht unterschiedlicher sein: wo Oma und Opa ihre Sommerferien auf dem Feld verbrachten, steht heute den Kindern die ganze Welt der Hobbys offen. Globalisierung und Demokratie schufen in den letzten Jahrzehnten vielfältige Wege für Kinder sich zu entwickeln und zu kommunizieren. Fernseher, Radio, Internet – das Lernen war noch nie so leicht. Aber auch im sozialen Bereich führt die weltweite Vernetzung zu neuen Formen der Kommunikation und Freundschaft: Social-Media-Kanäle wie WhatsApp, Facebook und Instagram machen es möglich.
Diese neuen Wege des Lernens erleichtern das Verstehen, bergen aber auch Gefahren. Altersspezifische Filter für das Surfen im Netz werden nur wenig genutzt. Die Folge: Kinder können auf Internetseiten gelangen, die nicht altersgemäß sind. In diesem Fall treffen Neugier und Wissensdurst aufeinander: „Was machen die denn da in dem Video?“.

Sexualerziehung: Schulen bilden UND erziehen!

Mit den Fragen zu dem was sie gesehen und gehört haben, kommen Kinder zu ihren Eltern. Oftmals stehen Erwachsene dann der scheinbar unlösbaren Aufgabe gegenüber ein Thema zu erklären, von dem sie glauben, dass ihr Kind dafür zu klein sei. Sein Kind mit den Worten „Dafür bist du noch zu jung, das erklären wir dir wenn du groß bist!“ zu vertrösten, ist auf Dauer für das Kind frustrierend und kann das Eltern-Kind-Verhältnis schädigen.

Die Schule ist ein Bereich der Erlebniswelt der Kinder, die sie täglich für mehrere Stunden begleitet. Somit wird die Schule zu einem Medium das, neben dem Elternhaus, zu einem der wichtigsten Quellen für Antworten wird. Und das ist richtig so: Denn die Schulen in Deutschland haben nicht nur einen Bildungsauftrag, sondern auch die Pflicht zur Erziehung! Im Gegensatz zum Internet wird in der Schule altersgerecht und angeleitet Wissen vermittelt. Themen, die Kinder bewegen, können hier von ausgebildeten pädagogischen Fachkräften so erarbeitet werden, dass das „Kind sein“ bewahrt, aber die Entwicklung gefördert wird.

Das Thema Sexualkunde bereits in der Grundschule einzubinden ist notwendig, um den Kindern ein altersgerechtes und neutrales Bild von Sexualität zu vermitteln. Oder anders gesagt: Die Kinder sollen durch die Sexualkunde ab Klasse 4 zu selbstbewussten Persönlichkeiten werden, die Sex als einen biologischen Vorgang und nicht als Provokation von Gelüsten empfinden. Außerdem sollen Ansätze zum Verstehen dafür geschaffen werden, dass Sexualität mit Respekt und Kommunikation einhergeht. Erst ab Klasse 7 werden genauere Themen, wie Verhütung und sexuell übertragbare Krankheiten angesprochen.

Lehrpläne der Bundesländer: Rahmenbedingungen für die Sexualkunde ab der 4. Klasse

Bevor man die Inhalte und den Aufbau der bundesweiten Lehrpläne verstehen will, sollte man sich die essentiellen Ziele der Schulen vor Augen führen. Dazu zählen:

  • Schulen in Deutschland bilden, aber sie haben auch einen Erziehungsauftrag.
  • Im Fokus des Bildungs- und Erziehungsauftrages steht die Vermittlung mitmenschlicher Werte von Gleichheit, Respekt, Akzeptanz, Verantwortung, Freiheit, Selbstständigkeit.
  • Kinder sollen sich im Einklang mit dem Elternhaus zu selbstbewussten Menschen entwickeln, die verantwortungsbewusst sich und anderen gegenüber handeln.

Jedes Bundesland macht seine eigenen Lehrpläne, aber in Bezug auf das Thema Sexualkundeunterricht in Klasse 4 gibt es einige Übereinstimmungen. Dabei stehen folgende Unterthemen im Mittelpunkt, die in verschiedener Art bereits ab Klasse 1 behandelt werden:

  • Der Körper mit seinen Funktionen und der Frage nach dessen Gesunderhaltung.
  • Mädchen und Jungen: biologische und gesellschaftlich-kulturelle Unterschiede. Dabei werden auch Geschlechterrollen vorgestellt und hinterfragt.
  • Das passiert mit einem Baby von der Schwangerschaft bis zur Geburt.
  • Als eine Kernkompetenz wird in den Lehrplänen immer wieder aufgeführt, dass die Kinder ihre eigenen Gefühle und die anderer wahrnehmen und äußern können.
  • Kinder sollen ihre eigenen Bedürfnisse wahrnehmen und kommunizieren. Das Gleiche gilt für die Bedürfnisse anderer.
  • Verschiedene Kulturen werden beleuchtet.
  • Die großen Themen Freundschaft und Liebe begleiten die Kinder von Klasse 1 bis Klasse 12. Hier wird auch auf das Thema „falsche Freunde“ oder „falsche Kindsfreunde“ eingegangen, woran sich das Unterrichtsthema Prävention sexuellen Missbrauchs anschließt.

Für alle Unterrichtsinhalte gilt: die Lehrperson kann individuell über die praktische Umsetzung verfügen. Als „heikel“ erachtete Themen sollten von der Lehrperson bei den Eltern angesprochen und vorgestellt werden. Sollten Eltern Fragen oder Bedenken haben, können Sie diese natürlich jederzeit an die Fachkraft richten. Alle Unterrichtsthemen, so auch die Sexualkunde, sollen von der Lehrperson neutral an das Kind herangetragen werden. Dadurch sollen die Kinder lernen eine eigene Meinung auszubilden und sie äußern zu können. Kommunikation wird bei diesem Thema großgeschrieben. Neutral, aber altersgerecht sollte ein Sexualkundeunterricht umgesetzt werden, sodass die Kinder selbst zur Erkenntnis gelangen, dass Sexualität das „Wunder des Lebens“ hervorbringt und eine respektvolle Form des Miteinanders darstellt, die Kommunikation und Liebe voraussetzt.

Manche Eltern haben Angst, dass in der Sexualkunde ab der 4.Klasse viel zu konkret Wissen vermittelt wird. In diesem Unterrichtsthema geht es nicht darum einen umfassenden Blick auf die Sexualität zu vermitteln, im Sinne von Sex-Stellungen oder Sextoys. Sexualkunde ab Klasse 4 ist die Vermittlung des Wissens über das Wunder des Lebens: die Erkenntnis, dass Babys nicht vom Storch gebracht, sondern durch Mann und Frau gezeugt werden. Das Mädchen und Jungen körperliche Eigenheiten aufweisen.

Sexualkundeunterricht in der Grundschule: Miteinander füreinander!

Als Eltern möchte man sein Kind vor allen Gefahren und Widrigkeiten dieser Welt beschützen. Das macht die Liebe zum Kind! Dem gegenüber scheint die Sexualerziehung als ein feindliches Thema im Raum zu stehen. Zumal die Medien über Versuche von Pädagogen berichten, die weit über das Ziel hinausgegangen sind. Das erschüttert Eltern so sehr, dass das Bildungssystem in Frage gestellt wird. Noch einmal: diese Schlagzeilen sind Einzelfälle, die nicht mit dem Schulalltag in Verbindung gebracht werden dürfen.

Unsere Kinder wachsen in einer medialen Gesellschaft auf, die sie rund um die Uhr mit heiklen Themen konfrontiert. Diese Vernetzung führt dazu, dass Kinder sehr viel hören und sehen, dass sie vielleicht nicht verstehen können. Sehen wir uns als Eltern und Pädagogen nicht in der Pflicht die Fragen zu beantworten, die unsere Kinder haben, laufen wir Gefahr sie an Informationsquellen zu vertrösten, die sie nicht altersgerecht informieren. Kinder merken sehr viel und machen sich zu Themen Gedanken zu denen auch wir Erwachsene manchmal keine Antwort finden. Die Kinder stetig mit ihren Fragen abzuweisen ist für ein liebevolles Miteinander nicht tragbar. Oftmals empfinden Kinder es als authentischer wenn Erwachsene zugeben, dass sie darauf keine Antwort parat haben, aber genau verstehen, worüber sich das Kind Gedanken macht. Diese Empathie ist ein Gewinn für das Eltern-Kind-Verhältnis.

Genau an diesem Punkt, das Eltern nicht alle Themen ihren Kindern erklären können oder möchten, setzt die Schule an. Ausgebildete Pädagogen finden einen Weg einem heiklen Thema das „Mysteriös-Verlockende“ zu nehmen und es zu einem Unterricht zu gestalten, der die Entwicklung des Kindes mit seinen Gedanken und Gefühlen in den Mittelpunkt stellt. Der Sexualkundeunterricht in der Grundschule ist ein Thema das, ebenso wie Freundschaft, Familie und Liebe dabei hilft das Selbstbewusstsein und den Charakter des Kindes altersgerecht zu bilden.

Dementsprechend sollten Eltern und Lehrer in Bezug auf schwierige Unterrichtsthemen umdenken:
Eltern und Lehrer haben dasselbe Ziel - Kinder zu erziehen, die verantwortungsbewusst und respektvoll denken und handeln. Die Schule dient dabei als „rechte Hand“ der elterlichen Erziehung. Pädagogen helfen dabei die Kinder so zu bilden und zu erziehen, dass sie das Leben mit guten Fähigkeiten und einem fundierten Wissen meistern können. Wenn heikle Themen in der Schule behandelt werden sollen, ist es an den Erwachsenen gemeinsam das Thema so zu vermitteln, dass das Kind mit seinen Rechten und Bedürfnissen im Mittelpunkt steht.

Sind Sie sich als Eltern nicht sicher inwieweit ihr Kind in der 4.Klasse über die Sexualkunde unterrichtet wird, gibt es diesbezüglich zu gegebener Zeit eine Information der Lehrkraft für Sie. Ansonsten können Sie Ihre Bedenken und Fragen direkt an die Lehrkraft wenden, wenn das Thema Sexualkunde in absehbarer Nähe behandelt werden soll. So können Sie gemeinsam besprechen, wie die Sexualerziehung zu einem Thema wird, mit deren Umsetzung sich Lehrkraft und Eltern identifizieren können – zum Wohle des Kindes!

Für alle Erwachsenen, ob Eltern, Lehrer, Erzieher oder Großeltern, denen es schwer fällt die richtigen Worte zur Sexualität zu finden, hat der KiKa ein Video, das für Grundschüler bestens geeignet ist. In der Geschichte „Wohin will Willi?“ wird die Sexualerziehung für Grundschüler altersgerecht aufgearbeitet:
https://www.youtube.com/watch?v=C-uXEkDpZXw

Quellen:

Adalbert Metzinger (2011): Sexualerziehung in der Vor- und Grundschule – ein Praxishandbuch mit Arbeitsblättern und Unterrichtsanregungen, mit Kopiervorlagen [Grundschule]. Brigg Pädagogik. Augsburg.
https://forum.sexualaufklaerung.de/index.php?docid=1250 – Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung
https://forum.sexualaufklaerung.de/index.php?docid=1251&pk_campaign=RelatedContent – Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung
http://www.bmjv.de/DE/Startseite/Startseite_node.html - Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz

Bild: © FM2/Fotolia

 

 

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