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Gute-Nacht-Geschichte "Die Schneeflocken"

Gute-Nacht-Geschichte "Die Schneeflocken"

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Eine Geschichte von Antje Frenzel

Lilli war eine kleine, freche Sommerfee mit prächtig glänzenden Flügeln. Wenn die Sonne auf sie schien, glitzerten sie in einem warmen goldenen Ton und wenn die Sonne sich hinter den Wolken ausruhte, dann leuchteten sie in einem kräftigen Purpur. Zusammen mit ihrer Mutter, ihrem Vater und ihrer kleinen Schwester Loretta wohnte sie in einem Feenbaum.

Ein Feenbaum ist ein alter knorriger Laubbaum, in dem sehr viele Feenfamilien leben. Lillis Baum war eine alte Eiche, die schon mindestens 100 Jahre an ihrem Platz stand und in der nur Sommerfeen lebten. Im Herbst und im Winter konnten diese Feen nicht draußen spielen, denn der schwere Regen, der fiese Wind und der eisige Schnee hätten ihre Flügel gebrochen. Das war in etwa so schlimm, als würde sich ein Menschenkind den Arm brechen. Also nicht wirklich, wirklich schlimm, doch so schlimm, dass man es lieber nicht riskieren sollte.
Lilli fand das doof, sie mochte die dicken, klaren Regentropfen und sie liebte die vorlauten Herbstwinde, die das bunte Laub durch den Wald pusteten. Aber am allermeisten von allen hatte sie die Schneeflocken lieb, denn sie hatten alle eine einzigartige Form und waren so schön. Ihr größter Wunsch war es, einmal mit ihnen durch einen Wintertag zu tanzen.

»Mama«, sagte sie an einem besonders frostigen Wintermorgen voller Aufregung, »heute werde ich mit den Schneeflocken tanzen!« – »Aber Lilli, du weißt doch, dass es nicht geht. Deine Flügel würden einfrieren und brechen und dann müsstest du zum großen Sommerfeenfest im Bett liegen. Willst du das?« – »Aber wenn ich aufpasse? Ich kann mir doch einen Schutz über die Flügel legen. Dann geht es bestimmt«, sagte die kleine Fee sehr störrisch und ihre Mutter antwortete ebenso entschieden: »Nein! Das kommt nicht in Frage.«

Diese Antwort hörte Lilli schon gar nicht mehr. Sie überlegte, wie sie es schaffen könnte, ihre filigranen Flügel vor den wunderschönen Schneeflocken zu schützen. Die Winterfeen brauchten keinen Schutz, ihre Feenflügel waren so fest wie die Baumrinde ihrer Feenbäume und so konnten sie dem Schnee, dem Regen und sogar dem Wind trotzen. Bei dem Gedanken an die Winterfeen kam Lilli der Gedanke, sie würde sich einfach Eichenrinde um die Flügel binden und dann müsste es gehen. Gesagt, getan. Heimlich besorgte sie sich in der Nacht ein wenig Rinde aus dem Vorratsraum. Sie wurde dort aufbewahrt, um damit den Baum von innen zu wärmen oder um kleine Risse zu flicken und so den Winterwind draußen zu halten.

Am nächsten Tag hatte ihre Mutter allerhand mit den Vorbereitungen für das Sommerfeenfest zu tun, so dass Lilli sich heimlich davon schleichen konnte. Sie zog sich die Rinde über ihre Flügel und dann sprang sie von der Flugterrasse in das gerade beginnende Schneegestöber. Oh, war das eine Freude. Tausende von Schneeflocken tanzten mit ihr umher und freuten sich mit ihr.

Doch dann passierte etwas, womit die kleine Fee nicht gerechnet hatte, die Rinde deckte ihre Flügel nicht vollkommen ab und so legten sich einige freche Schneeflocken direkt auf ihre Flügel. So schnell sie konnte flog die kleine Sommerfee in Richtung Feenbaum und nun empfand sie die Schneeflocken gar nicht mehr nett und hübsch, sie versperrten ihr die Sicht und immer mehr versuchten, durch die kleinen Ritzen in der Rinde zu kommen. Vor lauter Erschöpfung schaffte sie es gerade noch so an den Feenbaum der Winterfeen. Müde und überfroh, endlich wieder im Trockenen zu sein, schlich sie ins Innere. Hier war sie noch nie gewesen und sie kannte auch keine Winterfeen und hatte deswegen ein wenig Angst vor ihnen. Da kam auch schon eine auf sie zu.

»Was ist denn mit dir passiert und wieso trägst du Rinde um deine Flügel? Bist du etwa eine Sommerfee?« Lilli war selbst zum Reden zu schwach und konnte nur leicht nicken. »Oh, oh. Na dann komm mal fix mit mir mit zu unserer Krankenstation.« Lilli war froh, dass sich die grünlich schimmernde Winterfee Trudi so lieb um sie kümmerte. Auf der Krankenstation wurde ihr die Rinde abgemacht und nun kam das ganze Ausmaß ihres Ausfluges zu Tage. Viele kleine Risse waren in ihren purpurnen Flügeln zu erkennen und da bekam sie es gehörig mit der Angst zu tun. »Oh nein, oh nein, was hab ich nur getan? Ich werde nicht mehr fliegen können!«, begann die verängstigte Lilli zu schluchzen. Doch die Krankenschwester konnte sie beruhigen. »Ein paar Tage Ruhe, eine Schiene und ein bisschen Feentrunk und du bist bald wieder wie neu.«

Durch einen unterirdischen Gang konnte Lilli nach Hause gehen. Sie verabschiedete sich noch schnell von Trudi und lud sie zum Dank zum Sommerfeenfest ein – man konnte eigentlich nur daran teilnehmen, wenn man eine echte Sommerfee war, aber auch, wenn man eine Einladung bekam.

In ihrer Wohnung angekommen, wartete schon Lillis Mutter auf sie. Natürlich hatte sich schon rumgesprochen was geschehen war. Lillis Mutter war so glücklich, dass es ihrem kleinen Feenmädchen gutging, so dass sie gar nicht wirklich böse war und Lilli versprach ihr, auch nie wieder im Schnee spielen zu wollen. »Mit den Schmetterlingen und Bienen um die Wette zu fliegen, macht eh viel mehr Spaß!«

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