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Weihnachtlich geschmückter Hütteneingang mit Schlitten davor

Charlie und der Weihnachtswichtel

  • Kategorie:  
  • Gute-Nacht-Geschichte
Lesezeit: ca. 10min

Eine Gute-Nacht-Geschichte von S. Ißleib

Charlie seufzte. Er stand nun schon seit einer ganzen Weile am Fenster. Betrübt beobachtete er, wie die Schneeflocken fielen und fielen. Normalerweise freute er sich über ihren Anblick. Er mochte es, wie sie durch die Luft tanzten – ganz so, als würden sie sich zu einer klangvollen Melodie bewegen, die nur sie hören konnten. Er mochte auch das kitzelige Gefühl, das sie verursachten, wenn sie eiskalt in seinen warmen Händen landeten, sich in seinen Haaren verfingen oder auf seine Nasenspitze setzten. Aber heute...

Heute war das ganz anders. Seit Stunden und Tagen tanzten die weißen Flocken unaufhörlich. Sie ließen sich auf alles nieder, was sie fanden. Fensterbänke, Gehwege, Wiesen, Zweige und Straßen. Die Welt war weiß gepudert. Und Charlie beobachtete, wie sich die Schneedecke höher und höher türmte.

Neben sich auf der Fensterbank hatte er seinen Wunschzettel liegen. Und er befürchtete, wenn das so weiterginge, dann würde es nicht einmal der Weihnachtsmann oder einer seiner kleinen Helferelfen rechtzeitig schaffen, um ihn abzuholen und in die magische Spielzeugfabrik zu bringen. Selbst der Weihnachtsmann würde es mit seinem Schlitten nicht durch diesen Sturm schaffen. Da war er ganz sicher.

Charlie hatte dieses Jahr besonders lange darüber nachdenken müssen, was er sich zu Weihnachten wünschte. Vor zwei Tagen war es ihm endlich eingefallen. Aber dann hatte es ganz plötzlich angefangen zu schneien und zu schneien und nicht mehr aufgehört. Sogar Mama und Papa blieben bei ihm zuhause, so viel Schnee lag draußen. Und in den Kindergarten konnte er auch nicht.

Langsam wurde es spät. Nur die weiße Decke glitzerte noch im Licht der Straßenlaternen. Da setzte sich Mama neben ihn und sagte: "Charlie, mach dir keine Sorgen. Der Weihnachtsmann wird deinen Zettel ganz bestimmt holen kommen. Lass ihn einfach hier auf der Fensterbank liegen, damit er ihn gut finden kann."

Aber Charlie schüttelte den Kopf. "Ich glaube nicht, Mama. Bei diesem Sturm wäre es selbst für den Weihnachtsmann viel zu gefährlich, mit seinem Schlitten zu fahren."

Als Mama ihn daraufhin ins Bett brachte, war er noch immer ganz besorgt. So sehr, dass er seinen Blick einfach nicht von dem Zettel abwenden konnte, der unter dem Nachtlicht auf seinem kleinen Tischchen lag. Das Einschlafen fiel ihm schwer.

Doch als Charlie endlich die Augen schloss, fühlte er sich plötzlich ganz leicht, fast so, als würde er schweben. Er blinzelte noch einmal, um einen letzten Blick auf seinen Wunschzettel zu werfen. Da sah er, wie eine kleine, spitze Mütze über den Rand des Tisches lugte. Zwei spitze Ohren folgten, ein blonder Haarschopf, dann stand er da – ein kleiner Wichtel, gerade mal so groß wie Charlies Unterarm. Der Wichtel tigerte unruhig über den Tisch. Hin und her, immer wieder hin und her. Dabei brabbelte er unverständliches Zeug vor sich hin und die kleinen Glöckchen an seinen Schuhspitzen klingelten.

Charlie lächelte breit. Das konnte nur eines bedeuten: "Bist du gekommen, um meinen Brief zum Weihnachtsmann zu bringen?", fragte er.

Der Wichtel wirbelte erschrocken herum. Seine tannen-grünen Augen wurden groß. "Du siehst mich? Oh nein, das sollte nicht passieren!" Er griff sich an seine Mütze und murmelte: „Das gibt Ärger bei den Oberwichteln…“

Charlie setzte sich hin. „Natürlich sehe ich dich. Du bist ja auch ziemlich laut mit deinen Glöckchen! Und – wirst du meinen Brief mitnehmen?“

Der Wichtel verschränkte die Arme vor der Brust. „Ich bin Tilli, Wichtel zweiten Ranges, Bote für besondere Fälle. Aber der Sturm da draußen ist sogar für mich schwierig zu überwinden. Ich sitze nun schon seit einem ganzen Tag in deinem Haus fest. Wenn du wirklich willst, dass dein Wunschzettel ankommt, musst du wohl mitkommen.“

Charlies Augen wurden groß. „Ich… ich soll mitkommen? Zum Nordpol?“

Tilli nickte energisch. „Natürlich! Es ist eine lange Reise, aber wir schaffen das. Weißt du, die Magie der Wichtel ist viel stärker, wenn ein Kind ind er Nähe ist, das an Weihnachten glaubt. Wenn du mit mir reist, können wir es gemeinsam durch den Sturm schaffen. Du musst nur an den Weihnachtszauber glauben. Und zieh dich warm an!“

Der Wichtel schnipste einmal und schon stand Charlie dick eingemummelt im Garten. Ein winziger Schlitten wartete dort. "Bist du bereit?", rief Tilli und schwang sich auf den Kutschbock. Charlie nickte. Schnell kletterte er hinter dem Wichtel her. In seinen Händen hielt er den Wunschzettel ganz fest. Der Schlitten hob sanft vom Boden ab und Charlie hielt sich fest, als sie über das schlafende Dorf schwebten. Sie stiegen höher und höher und schließlich durchbrachen sie die Wolkendecke. Die Welt unter ihnen verschwand in einem Meer aus funkelndem Weiß, und vor ihnen leuchtete der Himmel in bunten Farben.

„Wow!“ staunte Charlie.

"Haha, wir haben es geschafft", jubelte Tilli! "Mit deiner Hilfe konnten wir den Sturm durchbrechen."

"Zum Glück", antwortete Charlie und grinste breit.

"Jetzt halt dich gut fest"; antwortete Tilli. "Und lass deinen Brief nicht fallen. Wir fliegen durch die Polarlichter." Der Wichtel deutete auf den bunten Himmel. Dann wandte er sich wieder nach vorn und der Schlittens sauste in schnellem Tempo davon.

Die Reise war wie ein Traum. Sie flogen über glitzernde Wälder, in denen Bäume aus Eiskristall wuchsen. Tilli erzählte ihm, dass in diesem Wald auch viele Rentiere wohnten. Dann folgten frostige Seen, in deren Oberfläche sich die Sterne spiegelten. Die ganze Welt war durchzogen von bunten Polarlichtern. Schließlich tauchte am Horizont eine riesige Fabrik auf, deren Dächer mit glitzernden Schneeflocken verziert waren. Überall herrschte geschäftiges Treiben: winzige Wichtel trugen Pakete, strahlende Lichterketten funkelten, und Rentierschlitten starteten und landeten ununterbrochen.

„Der Nordpol!“ rief Tilli, während er den Schlitten sanft auf einer schimmernden Landebahn absetzte.

Charlie stieg aus und sah sich um. „Ist das hier echt?“

„So echt wie dein Glaube an Weihnachten,“ antwortete Tilli. „Jetzt komm, wir bringen deinen Brief direkt zur Poststation. Du musst ihn nur in den Briefkasten da vorne werfen. Dann zaubere ich dich ganz einfach nach Hause. Von hier aus ist das kein Problem.“

Charlie folgte Tilli durch die lebhafte Fabrik. Überall liefen kleine Wichtel herum, die eifrig Pakete packten, Listen prüften und mit Glöckchen an den Schuhen hin und her huschten. Es duftete nach Lebkuchen und heißer Schokolade, und Charlie konnte sich kaum entscheiden, wo sie zuerst hinschauen sollten.

„Da drüben ist die Poststation!“ rief Tilli und deutete auf einen großen, rot-weißen Briefkasten, der aussah wie eine Miniaturversion des Weihnachtsmannhauses. "Wirf deinen Brief hinein. Von hier aus gelangt er direkt in die Hände des Weihnachtsmannes. Beeil dich, wir haben nicht mehr viel Zeit!“

Charlie öffnete den Deckel des Briefkastens und ließ seinen Wunschzettel hineingleiten. Ein leises, melodisches Klingeln ertönte, und aus dem Schlitz des Briefkastens drang für einige Augenblicke ein sanftes Leuchten.

„Das war’s?“ fragte Charlie ungläubig.

„Das war’s“, bestätigte Tilli zufrieden und klatschte in die Hände.

Mit einem Ruck wachte Charlie auf. Er sah aus dem Fenster. Draußen tanzten noch immer die Schneeflocken über den Wind. Für einen Moment war er verwirrt. War das alles nur ein Traum gewesen? Doch als er sich umsah, bemerkte er, dass der Wunschzettel, den er gestern Abend noch auf seinem Tisch hatte liegen sehen, verschwunden war.

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